Herbert Werner und Tomáš Kafka
Herbert Werner, ehemaliger Bundestagsabgeordneter, Gründungsdirektor des Zukunftsfonds
Tomáš Kafka, Diplomat und Dichter, Gründungsdirektor des Zukunftsfonds
Worin besteht Ihre persönliche Motivation, sich für die deutsch-tschechischen Beziehungen zu engagieren?
Herbert Werner: Meine Mutter war Tschechin, die mir – je älter sie wurde – immer mehr von meiner Geburtsstadt Teplitz erzählte. Die Neugier war geweckt, auch durch einen Kontakt zu Verwandten in der damaligen ČSSR über ein Drittland. Während meines Geschichtsstudiums an der Uni Tübingen befasste ich mich dann immer mehr mit der Geschichte der Slawen und der der Tschechen im Besonderen. Mir wurde immer mehr bewusst, wie sehr die historischen Wirrungen und Irrungen in Mitteleuropa die Geschichte meiner deutschböhmischen und meiner tschechischen Vorfahren bestimmt haben und wie sehr gerade auch Deutschland Verantwortung für den Bruch zwischen unseren beiden Völkern trägt. Als bekennender Katholik kam ich zu der Überzeugung, dass sich unsere beiden Völker wieder verständigen können, wenn sie den Mut haben, zu ihren eigenen Fehlern zu stehen und die Fehler des jeweils anderen zu vergeben (nicht vergessen!) bereit sind. Wechselseitige Forderungen zur Ausgangsbasis von Verständigung zwischen Völkern zu machen, wie das von beiden Seiten immer wieder geschah, führt ja unvermeidlich in eine Sackgasse, in der die Vergangenheit und nicht die Zukunft als Gestaltungsauftrag gilt. Klar wurde mir auch, welch große mentalen und emotionalen Ähnlichkeiten insbesondere zwischen Deutschböhmen und Tschechen bestehen! Daher versuchte ich, einen persönlichen Beitrag zur Bewältigung der unheilvollen Vergangenheit und zur Gestaltung eines freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Deutschen und Tschechen zu leisten. So empfahl ich in meiner Eigenschaft als Bundestagsabgeordneter und als Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde bereits 1991 dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl die Errichtung eines deutsch-tschechischen Jugendwerks oder einer Form von Versöhnungsstiftung.
Tomáš Kafka: Das Interesse an den deutsch-tschechischen Beziehungen habe ich von meinem Vater geerbt, der in den 60er Jahren an dem regen kulturellen Austausch zwischen der tschechischen und insbesondere der westdeutschen Literaturszene beteiligt war. Ich habe mir, Jahrzehnte später, diese Zusammenarbeit und die Tätigkeit meines Vaters als Bote guter Nachrichten zwischen Deutschen und Tschechen sehr romantisch, ja fast idyllisch, vorgestellt. Ich wünschte mir sehr, etwas Ähnliches zu erleben. Und in den 90er Jahren bot sich mir tatsächlich die Gelegenheit dazu. Ich kann nicht sagen, dass der Beginn meines Engagements für die deutsch-tschechischen Beziehungen eine Idylle gewesen wäre, aber romantisch und vor allem sinnvoll war das schon. Dafür bin ich nicht nur den deutsch-tschechischen Beziehungen dankbar, sondern vor allem den zahlreichen Partnern und Mitarbeitern, die ich in dieser Zeit kennenlernen durfte.
Welche Bedeutung hatte bzw. hat Ihrer Meinung nach die Gründung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds?
Herbert Werner: Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds ist aus den beidseitigen Beziehungen und der Begegnung zwischen beiden Völkern nicht mehr wegzudenken. Dass sich diese Einrichtung der Verständigung so erfolgreich entwickeln und zu einem unverzichtbaren Förderinstrument für Gemeinschaftsprojekte werden würde, hatten die Autoren des Deutsch-Tschechischen Nachbarschaftsvertrages und der Deutsch-Tschechischen Deklaration nicht gedacht. Die Erwartungen wurden durch umsichtiges, zielstrebiges Vorgehen des Zukunftsfonds übertroffen. Wichtig war besonders, dass die verschiedenen Organisationen der Opfer der NS-Herrschaft mit in die jeweiligen Projektausgestaltungen miteinbezogen wurden. Nur so konnte der Fonds seine Arbeitsgrundsätze für die Prüfung und Auszahlung von Entschädigungen für die verschiedenen Gruppen von Zwangsarbeitern des Nazi-Regimes richtungsweisend ausarbeiten und umsetzen, womit er für alle ähnlichen Stiftungen in den Staaten Mittel- und Osteuropas eine Leitfunktion erlangte.
Tomáš Kafka: Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds sollte mehr gegenseitiges Vertrauen und Freude in unsere Beziehungen bringen. Vertrauen sollte durch die humanitären Gesten hergestellt werden, die insbesondere den bis dahin vergessenen tschechischen Opfer des Holocaust zugute kamen. Zur Freude wiederum sollte die Förderungstätigkeit des Fonds bei gemeinsamen deutsch-tschechischen Projekten beitragen. Wenn ich mir das heutige Niveau der deutsch-tschechischen Beziehungen anschaue, stelle ich mit Freude fest, dass der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds sich in seiner Mission bewährt hat und auch weiterhin bewährt.
Was ist in Ihren Augen das größte Verdienst des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds?
Herbert Werner: Das größte Verdienst des Zukunftsfonds ist neben den Leistungen und Auszahlungen für KZ-Opfer und Zwangsarbeiter, dass es ihm in der Tat gelungen ist, mit seinen Projekthilfen viele Menschen aus unseren beiden Völkern zu konkreter, in die Zukunft gerichteter Zusammenarbeit zu ermuntern und so durch gegenseitiges Kennenlernen Misstrauen und Groll abzubauen, ja zu beseitigen! Gewiss kamen da vielerlei andere Entwicklungsstränge hinzu: die enger werdenden wirtschaftlichen Beziehungen, die politische Zusammenarbeit, schließlich die gemeinsame Verankerung in NATO und EU. Doch Wege zur Verständigung zwischen den Menschen wurden am wirkungsvollsten auf der persönlichen und emotionalen Ebene der vielfältigen und verantwortungsbewussten Zusammenarbeit in konkreten Projekten gefunden! Unverzichtbar ist hier auch das Deutsch-Tschechische Jugendwerk (das Koordinierungszentrum für deutsch-tschechischen Jugendaustausch Tandem, Anm.d.Red.), das eng mit dem Fonds zusammenarbeitet.
Tomáš Kafka: Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds hat den Bürgern beider Länder geholfen zu begreifen, dass die deutsch-tschechischen Beziehungen nicht nur eine historische Hypothek darstellen, sondern auch eine tagtägliche Chance. Die beste Form der Abzahlung historischer Schulden besteht darin, diese Chance richtig zu nutzen. Der Zukunftsfonds hat in den zwanzig Jahren seiner Existenz maßgeblich zur Verbreitung entsprechender Skills beigetragen. Wir müssen nicht immer derselben Meinung sein, aber wir sollten fähig sein, miteinander umzugehen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der deutsch-tschechischen Beziehungen?
Herbert Werner: Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds muss endgültig zu einer Dauereinrichtung zwischen unseren beiden Völkern und Staaten werden. Notwendig ist dafür ein Stiftungskapital, das die turnusmäßigen Finanzverhandlungen über die Fortsetzung des Fonds überflüssig macht! Zu glauben, das beidseitige Verhältnis habe sich ja zufriedenstellend in der EU eingespielt, weshalb man den Fonds dereinst nicht mehr brauchen werde, wäre töricht! In jeder Generation muss ein immer neuer Anlauf zur Verständigung und Freundschaft zwischen den Völkern genommen werden; angesichts der deutsch-tschechischen Vergangenheit ist dies umso unverzichtbarer! Menschen lernen einander eben nicht als Touristen näher privat kennen, sondern dort, wo sie sich gemeinsam für ein Ziel einsetzen und sich mit der wechselseitigen Geschichte auseinandersetzen, um für die Zukunft zu lernen und Fehler zu vermeiden! Das geschieht nicht in den großen Montagehallen, sondern in den kirchlichen und bürgerlichen Gemeinden und Vereinigungen vor Ort, in der persönlichen vertrauensvollen Zusammenarbeit! Diese fördert der Zukunftsfonds!
Tomáš Kafka: Den Bürgern unserer Länder wünsche ich, dass sie sich gegenseitig sensible Partner und Zuhörer sind, wann immer sie das Bedürfnis haben, die heutige Welt besser zu verstehen. Ich bin überzeugt, dass gute deutsch-tschechische Beziehungen eine wichtige Voraussetzung dafür sind, dass sich Deutsche und Tschechen in der heutigen Welt stärker zuhause fühlen.